Mit Kokain im Express in die Psychose - meine Erfahrung nach auf den Tag einem Jahr
Hi Du, der du wahrscheinlich die Auskünfte und Antworten suchst, nah denen ich in deiner Situation vor einem Jahr genauso händeringend das Internet durchforstet habe.
In den folgenden Zeilen, Absätzen oder vielleicht auch Seiten werde ich mich bemühen auf alle Sorgen einzugehen, die mich an den Rande der Verzweiflung getrieben haben, als ich erst komplett aus der Realität geschossen habe, mich dann später mit meiner eigenen (letztendlich nur temporären!) Verdummung konfrontiert sah und dann lange zwischen den unflexiblen Instanzen des Gesundheitssystems stagnierte.
Zuerst zu mir: mein Name ist Max (ja, wirklich), ich bin Ende zwanzig und bin - wie wahrscheinlich auch du - eigentlich nie ein Junkie gewesen, wie man ihn sich allgemeinhin vorstellt. Und trotzdem hat es mich letztendlich erwischt. Aufgewachsen bin ich im ländlichen Speckgürtel der Großstadt: Einfamilienhaus, Akademikereltern, ein unwesentlich jüngeres Geschwisterkind. Behütete Kindheit, Saufparties mit 16 in der Bushaltestelle, ewige Unsicherheit im Umgang mit Mädels, die ständige Suche nach der Nähe coolerer Freunde, erste Joints mit 18, hohe Suchtaffinität, einige Versuche mit dem Kiffen aufzuhören, während das gesamte Umfeld die Existent von Cannabissucht in Abrede stellt. Extasy als Experiment in der Feldflur an einem lauen Sommerabend. So viele Eindrücke und auch so viel Respekt vor der Substanz. 2012 schwappte die Chemiewelle durch meine Generation: Technofestivals und Hipstermode, und auf einmal war gefühlt jeder Ecstasy-erfahren. Der Konsumrhythmus erhöhte sich, dennoch hielt ich ihn immer noch für deutlich konservativer und kontrollierter als den meiner Freunde, bei denen es irgendwann zum Wochenend-Normal wurde und auf einmal komplett neue Begriffe herumschwirrten wie MDMA, Tillidin oder Ketamin. Ich war mit meinem monatlichen Konsum zufrieden, auch wenn ich auch nach Jahren noch jedes Mal leichten Angstschweiß nach der Einnahme einer neuen Pille hatte, weil ich die unvorhersehbaren bzw. möglichen Nebenwirkungen fürchtete. Ich studierte, galt überall als intelligenter und angenehmer Gesprächspartner, konnte immer durch ein breites Allgemeinwissen glänzen - was sollte es um die zwei, drei IQ-Punkte, solange ich es vorsichtig mit Viertel-Steigerungen handhabte?
2018 kamen dann die Probleme: mehrfach zum Fremdgeher geworden, mehrfach in Retour betrogen worden. Unbemerkt schlich sich erst der Alkoholexzess in meinen Alltag, es folgten fast gruselige Charakterveränderungen (Tobsucht, soziopathische Züge), in der Folge Masterstudium Hals über Kopf abgebrochen und vollends die Orientierung im Trümmerhaufen meiner Ideale und Träume der Studentenjahre verloren.
2019 folgt der Crash: zum Alkohol gesellen sich Speed, dann MDMA, am Ende auf fast täglichen Parties im Kreis von seit langem bekannten Menschen, die sich im Laufe der letzten Jahre stillschweigend in ähnliche Schiffbrüche manövriert haben - Kokain. Einen Monat geht das so: beim ersten Mal ließ ich mich noch gegen meine Zweifel beschwichtigen, dann konnten die Tage ohne alsbald nicht zügig genug verfliegen. Nein, süchtig war ich nicht. Aber in ständiger Erwartung. Endlich wieder gut schlafen, vollbetäubt abends nach Hause straucheln und in die Dunkelheit hineingrinsen.
Der Preis wurde allerdings schnell klar: zwischen den immer näher aneinander rückenden Konsumtagen schlichen sich immer mehr merkwürdige Fehler in mein logisches Denken und meine Sprache. Mal verlor ich den Faden, mal verwechselte ich die seit Kindheitstagen bekannten und fablich bestens zu unterscheidenden Müllsacktypen, mal konnte ich irgebdwelche grudlegenden Laute nicht mehr aussprechen, als ob ich über Nacht zum Dialektträger geworden wäre.
Und dann die Zäsur: die Nacht auf den 25. August - die x-te Bahn durch das Metallröhrchen vom ''Ballerbrett'', dann der unerwartete Beziehungsstress. Ich war drauf, nichts besondetres... aber am nächsten Morgen war ich nicht wieder runter.
Der Zustand führte sich auch in den kommenden Tagen beharrlich und zäh fort: alles war wie hinter einer Glaswand; ich reagierte nicht, zu spät oder wenigstens nicht adäquat auf Ansprachen; Buchstaben verschwammen vor meinen Augen zu einer bedeutungslosen Masse und wehrten sich dagegen, mir beim Lesen ihren Sinn preiszugeben. Irgendwie war ich nur müde und nie wirklich an dem Ort, an dem ich gemäß allen Regeln der Geographie eigentlich war. Okay, ein allerletzter Vergleich sei mir noch gestattet: ich war auf einmal Statist in meiner eigenen Biographie.
Die Erkenntnis, dass das etwas mit dem Koks zu tun haben musste, war zwar da, aber nicht die Einsicht. Es folgten zwei Notaufnahmen mit kurzem Krankenhausaufenthalt in der Neurologie, da ich mir einredete, all die Verzerrungen, das Kribbeln unter der Kopfhaut, der zunehmende Nackenschmerz (-> Verspannungsschmerz, wie ich letztendlich lernte) müssen auf einen Schlaganfall zurückzuführen sein.
Natürlich konnte mir niemand helfen: CT, EKG und Nervenstrommessung lügen auch werktags um zwei Uhr nachts nicht.
Es folgen viele Fragen, an mich selbst und die unendlichen Weiten des Drogen-weisen Internets: wie lange kann ein Mensch das Aushalten? Lässt sich das überhaupt aussetzen? Wie kann ich mich selbst behandeln?
Leider konnte ich in keinem der unzähligen Foren für Drogen, Cannabisanbau, Psychiatrie und Allgemeinmedizin eine nur annähernd zufriedenstellende Antwort finden. Nur eines half kurzzeitig, wenn auch eventuell wenigstens durch seinen Hoffnungsschimmer: L-Tryptophan für einen stolzen Preis aus der schützenden Anonymität der Bahnhofsapotheke. Ich kann mir kein wissenschaftliches Urteil hierzu erlauben, aber mir half es in einem sehr kritischen Moment, als der dritte Monat im Kampf um die Hoheit über meine Gedanken anbrach und ich die Hoffnung auf medizinische Hilfe aufzugeben begann. Ich konnte nachts wieder vernünftig schlafen, und irgendwie war ich auch tagsüber auch wieder etwas wacher.
Und hier der nächste Rat, den ich mir mit frischem Mut daraufhin auch selbst gab: geh zum Hausarzt. Nein, nicht deinem Hausarzt, zu dem du wegen Rückenschmerzen oder Husten gehst - das jahrelang aufgebaute Vertrauen möchtest du sicherlich nicht gefährden. Such dir einen in der Stadt, meinetwegen mithilfe von positiven Google-Bewertungen. Einen von diesem "netter Onkel mit Schnauzbart und immer einem zynischen Spruch auf den Lippen"-Schlag, der dir deine Beichte nicht persönlich anlasten kann und würde. Erzähl ihm alles: deine Vorgeschichte (eventuell schon damals auf der Parkbank am Teich, in unbeschwerten Jugendtagen, schon Probleme mit der leicht verzerrten Realität nach der Kifferei gehabt? Depressionen in der Familie?), deine Substanzen-Laufbahn, die noch so unbedeutend erscheinenden Symptome. Er wird dir eine Überweisung ausstellen, alles andere wäre selbst für den ignorantesten Arzt fahrlässig. Nicht zum Psychologen — das kannst und solltest du später in Angriff nehmen — sondern zum Psychiater. Der ist nämlich nicht nur Seelsorger, sondern auch Neurologe und kann von daher gut nachvollziehen, welche Zahnrädchen in deinem Gehirn durch die Drogen zum Stillstand gekommen sind.
Ich hatte hier leider nicht sonderlich viel Glück: nach wochenlangem Warten habe ich von der Kassenärztlichen Vereinigung endlich einen Termin bei einem Psychiater erhalten. Dieser entpuppte sich, wie wahrscheinlich viele alters Vertreter seiner Zunft, als absolut in seinem Algorithmus festgefahren: "gegen alles Hilft ein Antidepressivum, denn alles ist letztendlich nur eine verschleppte Depression". So taumelte ich von Buproprion mit seinen wirklich hart realitätsverzerrenden Nebenwirkungen bei Psychiosen zu Dioxepin, das mich fast in den Selbstmord getrieben hätte, zu Escitalopram, das mir zwar nicht spürbar hilft, aber wenigstens auch nicht schadet.
Im Laufe der nunmehr acht Monate mit Antidepressiva hat sich mein Zustand nur langsam und gering verändert: ich kann mir kaum etwas merken, verspreche mich häufig, vertausche Silben im Wort oder bilde ganze Wörter neu. Ich nehme nur sehr zögerlich Kontakt zu Freunden auf, da ich nie so richtig weiß, was ich erzählen kann, da anstelle der sonst immer so sprudelnden Ideen, Initiativen und Scherze oft gähnende Leere in meinem Kopf ist. Ich wirke häufig abwesend, erkenne mich selbst nicht in Texten wieder, die ich erst gestern geschrieben habe, und zerbreche mir den Kopf an simpelsten Regeln der Grammatik meiner Muttersprache. Mein Leben ist zum Versteckspiel geworden - vor Freunden, vor der Familie, auf der Arbeit.
ABER: vor kurzem habe ich mich in einem letzten Aufbäumen an alle psychiatrischen Institutsambulanzen der Region gewandt und um einen Termin für eine Zweitmeinung zu meiner Behandlung gebeten. Eine hat geantwortet. Es folggte ein angenehmes Gespräch mit einem deutlich jüngeren Kollegen, der mich endlich ernst nahm und mir ein Antidepressivum gegen Angstzustände und psychotische Zustände, namentlich Melperon, verschrieb. Und obwohl ich nicht mehr daran glaubte, nach einem Jahr purer Verzweiflung und etlicher Pläne zum Notausstieg: ich kann nach wenigen Tagen wieder Diskussionen führen. Gedanken behalten und in meiner geistigen ''Zwischenablage'' hinterlegen, ohne ihnen hinterher verzweifelt stundenlang im Wirrwarr meines Kopfes honterherzujagen. Ich habe wieder Charisma und Charme im Gespräch mit mir unbekannten Menschen, plane jenseits der Sicherheitslinie, an der ich mich so lange entlanggehangelt habe.
Es ist nicht zu spät, sich Hilfe zu holen! Ich bin genau wie du immer noch der alte Mensch von ''vorher'', nach dem ich mich so lange gesehnt habe und den ich in den Wirren des Verlustes meiner Persönlichkeit zu schätzen gelernt habe.
Und auch Du kannst wieder zurückkehren - wage nur den ersten Schritt, auch wenn du dich jetzt am liebsten verkriechen und verzweifelt alles aussitzen würdest. Erzähl deine Geschichte, hol dir die Unterstützung, die du so dringend benötigst!
*ich habe etliche Beispiele und Details auslassen müssen, in denen Du dich eventuell eher hättest wiederfinden können als in jenen, für deren Erwähnung ich mich letztendlich entschieden habe. Wenn du Fragen hast, schreib gerne einen Kommentar - ich werde regelmäßig hier vorbeischauen und auf jeden Fall Kontakt mit dir aufnehmen, um noch eine unnötig lange Tortur wie meine zu verhindern. Bis bald!
Substanzen
- Kokain
Kommentare
Kommentar von so ein Typ |
wo kann man mit dir ein Gespräch führen?
ich glaub das hat eben nicht funktioniert, also nochmal:
hätte die eine oder andere Frage an dich, wie kann man dich erreichen?
(ungern hier in den Kommentaren)
Kommentar von daniel |
Kommentar von Drug Scouts:
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Kommentar von Marcel |
Danke
Danke für den ausführeichen Bericht und deine Offenheit, ich denke du wirst hier vielen Leuten Mut geben sich nicht aufzugeben. Ganz wichtig ist auch die Warnung dabei wie schnell man dort landet auch wenn man vorher nicht der Typische "Junkie" mit selbigen Umfeld ist. Freut mich zu hören das es bei dir endlich wieder Bergauf geht alles gute weiterhin!Kommentar von k |
danke für deinen Beri
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